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Gerhard Rudolf Fanselau wird am 30. April
1904 als Sohn des Amtsrates Wladislaus Fanselau und seiner Frau
Sophie in Leipzig geboren. Ab 1911 besucht er die humanistischen
Gymnasien in Leipzig, Breslau, Halle (Saale) und Berlin - Steglitz.
Die soliden Kenntnisse in den Sprachen Latein, Griechisch, Englisch
und Französisch ergänzt er schon während seiner Schulzeit
durch die Teilnahme und Leitung einer mathematisch-naturwissenschaftlichen
Arbeitsgemeinschaft. Diese beschäftigt sich mit Infinitesimal-
und Vektorrechnung und diskutiert die, damals im öffentlichen
Fokus stehenden, Grundlagen der Einsteinschen Relativitätstheorie.
Nebenher besucht Gerhard Fanselau als Schüler Urania-Vorträge
sowie technisch-physikalische Vorlesungen an Berliner Volkshochschulen.
In diesem Zusammenhang gelingt es ihm, sich durch die Teilnahme
an Führungen einen Überblick über die in Berlin ansässigen
Industrie- und Bauunternehmen zu verschaffen.
1923, mit dem Abitur in der Tasche, schreibt
sich Gerhard Fanselau an der Berliner Universität ein, um Mathematik
und Physik zu studieren. Die Vorlesungen, die er hier besucht, werden
im Bereich der Mathematik von den Professoren Bieberbach, Feigel,
Löwner, von Mises, Schmidt, Schur und Szegö, im Bereich
der Physik von den Professoren Einstein, von Laue, Planck, Pringsheim
und Wehnelt, im Bereich der Chemie von dem Professor Schlenk und
im Bereich der Philosophie durch die Professoren Maier, Dessoir,
C. F. Meyer und Spranger gehalten. Außerdem besucht er einige
wenige Vorlesungen der Medizin und Rechtswissenschaften sowie -
weitaus häufiger - Vorlesungen zur technischen und allgemeinen
Mechanik. Er hört technische Spezialfächer u.a. zu den
Themen Bildtelegraphie und automatische Telephonie an der Technischen
Hochschule in Charlottenburg. Durch die Teilnahme an den physikalischen
Kolloquien unter Leitung von Professor von Laue hatte der junge
Student die Gelegenheit, bekannte Repräsentanten der verschiedenen
Wissenschaftsdisziplinen, neben den oben Erwähnten, auch die
Professoren Becker, Hahn, Meitner, Nernst und Schrödinger,
in Diskussionen kennenzulernen. Das Studium beendet Gerhard Fanselau
1927, mit einer von den Professoren Planck und Hettner vorgeschlagenen
Arbeit über die theoretisch-hydrodynamische Berechnung von
Strömen in Radiometern. Seine Dissertation erhält die
Note laudabile. Die mündliche Prüfung findet bei
den Professoren Planck, Wehnelt, Bieberbach und Dessoir statt. Die
Promotion wird insgesamt mit cum laude bewertet.
Die Absicht, das Staatsexamen für den Höheren Schuldienst
an der Universität abzulegen, gibt Gerhard Fanselau auf, als
sich ihm einige verheißungsvolle Stellungen bieten. Im November
1927 tritt er in das Meteorologische Institut der Berliner Universität
ein, wo er sich in der Niederschlagsabteilung verschiedenen statistischen
Untersuchungen widmet. Später assistiert er Professor Kolhörster
bei speziellen Untersuchungen zur kosmischen Strahlung, wobei er
sich mit dem Elektrometerbau beschäftigt und des weiteren lange
Reihen von Schwankungen der Ultrastrahlung im Berlepsch-Schacht
in Staßfurt aufnimmt. Aus dieser Zeit ist keine Arbeit veröffentlicht
worden.
Gerhard Fanselau hinter einem Theodoliten nach Adolf Schmidt
zwischen 1933 und 1944
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Bereits ein Jahr später nimmt
der junge Wissenschaftler eine Stelle im Magnetischen Observatorium
Potsdam an, welches von Adolf Schmidt geleitet wird. Bei der
notwendig gewordenen Verlegung des Observatoriumsbetriebs nach
Seddin, resultierend aus den bei der Elektrifizierung der Berliner
Stadtbahn entstandenen vagabundierenden Erdströme, kann
er sich durch die Fortführung der langjährigen Beobachtungsreihen
bewähren. Im selben Jahr geht Professor Schmidt in den
Ruhestand. Gerhard Fanselau unterstützt ihn bei der Fortführung
seiner wissenschaftlichen Untersuchungen bis zu seinem Tode
1944. Da das Observatorium in Seddin nur eine Übergangslösung
war, wird in Niemegk ein neues, nach Plänen von Adolf Schmidt
gestaltetes, Observatorium errichtet. Bei der Einrichtung und
Überführung des Beobachtungsbetriebes ist Gerhard
Fanselau ebenfalls beteiligt. Am 23. Juli 1930 wird das Observatorium
Niemegk eingeweiht und 1933 übernimmt Fanselau dessen Leitung.
Weiterhin beschäftigt er sich auf dem theoretisch-statistischen
Gebiet u.a. mit der Berechnung von magnetischen Spulenfeldern,
Untersuchungen zu Kugelfunktionen und Gezeitenerscheinungen
im geomagnetischen Feld. Experimentell nehmen ihn die Arbeit
an magnetischen Waagen mit Bandaufhängung, dem Doppelkompass,
der für die 1931 stattfindende Arktisexpedition des Luftschiffs
LZ 127 "Graf Zeppelin" benötigt wurde, sowie
die Konstruktion eines Schwingzeitmessgerätes, zur Bestimmung
der Wirkung der umgebenden Luft auf schwingende Körper,
in Anspruch. |
Die Weiterentwicklung seiner wissenschaftlichen
Karriere erfolgt 1935 durch die Habilitation an der Berliner Universität,
Fachbereich Geophysik. Die dazu durchgeführte öffentliche
Lehrprobe beschäftigt sich mit der Verwendung der Kugelfunktion.
Einen Lehrauftrag für Geophysik an der Universität Berlin
erhält er 1941 und wird dort ein Jahr später Dozent. Bedeutende
Ereignisse im Privatleben stellen sich 1939 durch die Eheschließung
mit seiner Frau Ilse und im darauffolgenden Jahr mit der Geburt
von Tochter Ingrid ein.
Nach dem Krieg werden am Observatorium Niemegk zunächst
die entstandenen Schäden beseitigt. 1946 wird dann der Beobachtungsdienst
wieder aufgenommen. Unter seiner Leitung wird unter anderem die
Neubestimmung des absoluten Niveaus in Niemegk realisiert. In diese
Zeit fällt auch, durch die Beschäftigung mit experimentell-apparativen
Fragen am Observatorium Niemegk inspiriert, die Konstruktion einer
einfachen Feldregistrierstation und einer geomagnetischen Feldwaage.
1950 wird Gerhard Fanselau neben der Leitung des Observatoriums
Niemegk auch die Leitung des Potsdamer Institutes übertragen.
Beide werden als Geomagnetisches Institut 1956 dem Verband der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin eingegliedert. Der Potsdamer
Teil des Institutes beschäftigt sich mit theoretischen und
statistischen Forschungen, während in Niemegk experimentelle
und beobachtungstechnische Arbeiten durchgeführt werden. Das
Institut etabliert sich unter seiner Leitung zu einem der international
führenden Institute für Geomagnetismus und Aeronomie.
Im Jahre 1964, zum 75jährigen Jubiläum des Institutes,
wird in Potsdam der Institutsneubau eingeweiht.
G. Fanselau mit Otto Lucke 60er Jahre
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Auch Gerhard Fanselaus akademische Karriere entwickelt
sich in den 50ern Jahren weiter. Die Ernennung zum Professor
mit Lehrauftrag erfolgt 1950, mit vollem Lehrauftrag für
Geophysik an der Humboldt-Universität zu Berlin 1954.
Im Jahre 1958 folgt er dem Ruf als Professor mit Lehrstuhl
für Geophysik an der Karl-Marx-Universität Leipzig.
Für seine wissenschaftliche Tätigkeit erhält
Gerhard Fanselau zahlreiche Auszeichnungen, von denen sicherlich
der "Vaterländische Verdienstorden in Silber"
aus dem Jahre 1960 die bedeutendste ist. Seine außerordentliche
Reputation spiegelt sich auch durch einige nationale und
internationale Funktionen wieder. So leitet er u.a. die
Unterkommission für Allgemeine Geophysik der Sektion
für Physik der Deutschen Akademie der Wissenschaften
zu Berlin und zwei Arbeitsgruppen der Internationalen Assoziation
für Geomagnetismus und Aeronomie (IAGA).
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Zu seinen herausragenden Leistungen
zählen die Beschreibung der Fanselau - Spulen, bei denen
durch die spezielle Anordnung der Spulen homogene Magnetfelder
erzeugt werden und die Entwicklung der geomagnetischen Feldwaage
mit Bandaufhängung, bei der die Torsionssteifigkeit des
Bandes zur Messung der Komponenten des Feldes genutzt wird,
sowie die Entwicklung von Reiseregistrierstationen, um örtliche
Unterschiede der geomagnetischen Variation zu ermitteln. Mit
der Schriftenreihe "Geomagnetismus und Aeronomie",
zu der er als Herausgeber eine Reihe von renommierten Forschern
gewinnen kann, wird eine umfassende Darstellung des sich damals
schnell entwickelnden Fachgebietes geschaffen. Auf theoretischem
Gebiet ist er maßgeblich an der Analyse und Beschreibung
des geomagnetischen Feldes der Erde mittels mathematisch-statistischer
Verfahren beteiligt. Die Leistungen eines Wissenschaftlers
lassen sich nicht nur an der Zahl der Veröffentlichungen
- bei G. Fanselaus Fall handelt es sich um weit über
200 wissenschaftliche Publikationen - und Entwicklungen ablesen.
Ein großer Teil reflektiert sich in der Ausbildung,
Leitung und Inspiration seiner Schüler und Mitarbeiter.
An dieser Stelle sollten die geomagnetische Landesvermessung
mit einer bis dahin nicht erreichten Genauigkeit und Dichte,
die Entwicklung eines elektrodynamischen Theodoliten zur absoluten
Bestimmung der Komponenten des geomagnetischen Feldvektors
und die Untersuchungen an geophysikalischen Plasmen sowie
die Entstehungstheorie des erdmagnetischen Hauptfeldes beispielhaft
genannt werden.
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Gerhard Fanselau 60er Jahre
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Bis zur Reform der Akademie der Wissenschaften der DDR (1969) ist
Gerhard Fanselau Direktor des Geomagnetischen Institutes. Im Rahmen
der Akademiereform werden die vier bisher selbständigen Institute
mit den Fachrichtungen Geodynamik, Geodäsie, Geomagnetismus
und Geotektonik zum Zentralinstitut für Physik der Erde (ZIPE)
zusammengeschlossen.
Im letzten Jahrzehnt seines Lebens erarbeitet sich Gerhard Fanselau
eine neue Problematik mit der Lösung der inkorrekt gestellten
Aufgabe in der Geophysik und bereichert sie mit wichtigen Ideen.
Untersuchungen zu der für die praktische Geophysik so wichtigen
Bestimmung der geophysikalischen Störkörper in den Arbeitsgebieten
der angewandten Gravimetrie und Magnetik haben - wie man weiß
- einen theoretisch sehr anspruchsvollen mathematischen Hintergrund.
Insofern stellen die Untersuchungen zur Inversionsaufgabe und die
Diskussion zu einschränkenden geophysikalischen Bedingungen
für deren Lösung einen wichtigen Beitrag für Anwendungen
in der Erkundungsgeophysik dar, da diese die Ambiguität der
Lösungen einschränken. Gerhard Fanselau legt, die Bedeutung
dieser Thematik erkennend, wichtige Ansätze zur Bearbeitung
dieses sich entwickelnden wichtigen Arbeitsgebietes der Geophysik.
In den nachfolgenden Jahren entwickelt sich das Gebiet der Lösung
der Inversionsaufgaben in der Geophysik zu einem fast zentralen
Problem der geophysikalischen Interpretation, dessen Komplexität
bisher nur teilweise bekannt ist und das bisher unüberschaubaren
Forschungsbedarf aufweist. Er sammelte über lange Jahre für
die Geschichtskommission der IAGA historische Berichte von europäischen
Wissenschaftlern. Er selbst verfasst vier Beiträge dazu, die
im Wesentlichen aus den Erfahrungen seiner damals fast 50jährigen
Tätigkeit im Institut entstehen.
Am 28. April 1982, zwei Tage vor seinem 78. Geburtstag, stirbt Prof.
Dr. Gerhard Fanselau in seinem Haus in Potsdam.
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